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Brauchen wir ein Europäisches Weißbuch für Sicherheit und Verteidigung?

Im Dezember 2003 nahm der Europäische Rat die Europäische Sicherheitsstrategie an als Grundlage für die Gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union. Dieses Dokument wurde im Dezember 2008 ergänzt.

Es beschreibt die Bedrohungen, denen wir gemeinsam ausgesetzt sind und befürwortet eine bestimmte Vorgehensweise (den „effektiven Multilateralismus“). Es ist jedoch etwas anderes als das französische Weißbuch, das nicht nur die Bedrohungen und Herausforderungen beschreibt, sondern auch die Fähigkeiten, die Führungsstrukturen und die Ausrüstung , die notwendig sind, um diesen Bedrohungen zu begegnen.

Das französische Weißbuch fordert die Europäische Union auf, ein Europäisches Weißbuch zu erstellen, und dadurch zu einer gemeinsameren und wirksameren Außen- und Verteidigungspolitik beizutragen.

Was die Vorgehensweise für das französische Weißbuch angeht, so war dieses das Ergebnis einer breiten öffentlichen Diskussion.

Wenn wir vermeiden wollen, dass ein europäisches Weißbuch zu einem rein administrativen Dokument wird, sollten wir uns an der Vorgehensweise der französischen Regierung orientieren. Nicolas Sarkozy hat die Verantwortung für das Weißbuch einer Gruppe von Persönlichkeiten mit unterschiedlicher politischer und professioneller Zugehörigkeit übertragen. Das europäische Weißbuch, muss in gleicher Weise auf die Anliegen unserer Bürgerinnen und Bürger eingehen.

Ein Europäisches Weißbuch für Sicherheit und Verteidigung sollte zunächst die gemeinsamen Interessen der Europäischen Union definieren. Im nächsten Schritt sollten die Bedrohungen unserer gemeinsamen Interessen aufgezeigt werden und wie wir diesen begegnen können. Das würde deutlich machen, dass wir gewillt sind, diesen Bedrohungen gemeinsam zu begegnen.

Auf dieser Grundlage wird es dann darum gehen, unsere Führungsstrukturen und Fähigkeiten so weiterzuentwickeln, dass sie diesen Anforderungen gerecht werden können. Das bedeutet, dass wir Defizite beseitigen, unsere Ausrüstung aufeinander abstimmen und eine Art der Spezialisierung zwischen den Mitgliedsstaaten finden müssen. Die grundlegende Herausforderung ist, die Ausgaben durch gemeinsames Handeln effizienter zu machen.

Die Welt ist heute immer noch durch die dominante Stellung der Vereinigten Staaten geprägt, die Rückkehr Russlands, das Aufholen von China, Indien und Brasilien und die Herausforderungen durch Klimawandel, Armut, und religiösen Fanatismus.

Ein Europäisches Weißbuch für Sicherheit und Verteidigung muss unsere Fähigkeiten mit der Rolle in Verbindung setzen, die wir in der Welt spielen wollen. Eine Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten setzt voraus, dass wir auch über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen.

Im Dezember des vergangenen Jahres haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union dazu eine Entschließung folgenden Inhalts verabschiedet:

Um den jüngsten sicherheitspolitischen Herausforderungenzu begegnen und auf neue Bedrohungen zu antworten, sollte Europa unter anderem effektiv in der Lage sein zu

·    der Durchführung einer größeren Operation mit 60 000 Mann innerhalb von 60 Tagen

·    gleichzeitiger Planung und Durchführung einer Reihe von Missionen und Operationen unterschiedlichen Ausmaßes

·    zwei umfangreichen Operationen zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau mit einer entsprechenden zivilen Komponente

·    zwei zeitlich befristeten Einsätzen als rasche Reaktion auf Krisen

·    einer Operation zur Notevakuierug europäischer Staatsbürger

·    einer Mission zur Überwachung/Abriegelung des See- oder Luftraums

·    einer Operation zur Leistung humanitärer Hilfe

·    einem Dutzend ziviler ESVP-Missionen

Diese ambitionierte Erklärung könnte ein Meilenstein werden, wenn sie Wirklichkeit würde. Aber die Führungsstrukturen und die Kapazitäten müssen an diesen Anspruch angepasst werden.

Die Europäische Union kann mehr als nur militärische Macht bereitstellen. Der umfassende Ansatz der Europäischen Union baut auf einem Mix von Instrumenten auf, der unseren Ansatz deutlich macht. Das wird dadurch deutlich, dass von den bisherigen Missionen im Rahmen der ESVP 17 ziviler Natur waren und nur 6 militärischer.

Ein Weißbuch muss weitere Fragestellungen beinhalten:

1.   Sollte die Europäische Union Streitkräfte zu ihrer permanenten Verfügung haben? Derzeit haben wir die Battle Groups, die bislang nicht eingesetzt wurden.

2.    Sollten wir für Truppen, die wir in einer Operation unter der Flagge der EU im Einsatz haben nicht ein gemeinsames Statut für unsere Soldaten entwickeln? Sie sollten vergleichbare soziale Bedingungen und Schutz erfahren, wenn sie in einer europäischen Operation gemeinsam Dienst tun.

3.    Aufgrund der Haltung der neuen US-Regierung zu nuklearer Abrüstung und Nichtverbreitung sollte ein Europäisches Weißbuch auch die daraus folgenden Konsequenzen für die Europäische Union und Ihre Mitgliedsländer untersuchen.

All diese Beispiele machen deutlich, welchen Nutzen die EU aus einem Weißbuch für Sicherheit und Verteidigung ziehen könnte. Zum einen würde es dazu beitragen, die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu untermauern, zum anderen würde aber auch eine dringend notwendige öffentliche Debatte über das Selbstverständnis der EU entstehen.

Die Europäische Union ist dazu da, um unsere Bevölkerung zu schützen, unsere Lebensart und unsere kulturelle Identität. Die Kraft dazu haben wir aber nur, wenn wir gemeinsam handeln.

Ein Weißbuch könnte das unseren Bürgern verdeutlichen. Die Welt entwickelt sich weiter. Deshalb dürfen wir keine Zeit verlieren. Die Europäische Union als große Wirtschaftsmacht darf auf diesem Feld nicht zurückbleiben.

Karl von Wogau,

Generalsekretär der European Security Foundation